Ohne den schützenden Schirm der Blätter wirkt der Waldboden heller. Licht durchströmt ihn, zaubert frische, nuancierte Farbpaletten auf Stämme, Zweige und den Boden. Während das sommerliche Schattendasein gelb-grünes Licht, gedämpfte Blau-, Rot- und auch Violetttöne in allen Schattierungen kreiert, können sich jetzt satte Rot-, Orange- und Blautöne in ungeheurem Variantenreichtum mischen. So David Haskell in „Die Nationalgalerie des Waldes präsentiert ihre vollständige Sammlung“. Das Licht kehrt jetzt in die Natur zurück.

Wenn es dämmert
Drei Dämmerungsphasen unterscheidet die Wissenschaft. Von der bürgerlichen Dämmerung (gemeint ist stets die Zeit nach Sonnenuntergang) spricht man, wenn das Lesen im Freien noch anstrengungslos gelingt. Bei der nautischen Dämmerung ist der Horizont noch klar erkennbar, aber erste Sterne erscheinen am Firmament. Bei einem Tiefenwinkel zwischen 12 und 18 Grad (er misst den Winkel zwischen der Mitte der Sonnenscheibe und der Horizontlinie nach dem Sonnenuntergang) spricht man von der astronomischen Dämmerung. Zwischen den beiden Tagundnachtgleichen um den 22. September und dem 21.3. eines Jahres ist es bei den echten Nordlichtern Europas keinesfalls nur dunkel. Bis zu sechs Stunden währt etwa im November oder Januar der Übergang von der Morgen- zur Abenddämmerung. Dabei zaubert das langwellige Licht eine unglaubliche Farbenpalette in die Natur. Licht- und Schattenspiele von faszinierender Schönheit halten den Betrachter in Atem. Mit jedem Breitengrad südlicher schiebt sich zwischen die beiden Dämmerungsphasen eine mehr oder minder kurze Sonneneinlage mit gleißend-gelbem Licht und extremer Kontrasttiefe.

Blaue Stunden
Das Geheimnis vom azurblauen Himmel und dem brennenden Abendrot der unter- oder aufgehenden Sonne ist die Streuung der Lichtwellen in der Atmosphäre. Das Sonnenlicht enthält stets alle Regenbogenfarben von Violett über Blau, Grün, Gelb, Orange bis hin zu Rot. Jede Farbe entspricht der elektromagnetischen Strahlung einer bestimmten Wellenlänge. Beim Blau ist sie am kürzesten und beim Rot am längsten. Generell, mal vom Blick direkt in die Tagessonne abgesehen, nehmen wir stets nur Streulicht wahr, das über Umwege von der Sonne in unsere Augen gelangt. Alles, was wir sehen, erscheint uns meistens farbig, da die betrachteten Gegenstände nur Teile des auftreffenden Wellenspektrums reflektieren. Je kürzer die Wellenlänge, umso stärker wird das Licht gestreut. Bei hohem Sonnenstand wird das kurzwellige Blau in der Atmosphäre besonders stark gestreut, der Himmel erscheint daher blau. In der Dämmerung wird der Weg für das Sonnenlicht immer länger durch die Schrägstellung. Dadurch werden die kurzwelligen Strahlen herausgestreut, den Himmel erhellen jetzt die typischen Gelb-, Orange- und Rottöne. In der Dämmerung, genauer der blauen Stunde in der Schlussphase der astronomischen Dämmerung, wird in der Ozonschicht das Licht blau gefärbt, da sie das Licht im gelben, orangen und roten Spektrum absorbiert und nur das Blau übrigbleibt. Während der ersten und zweiten Phase der Dämmerung hingegen dominiert das langwellige gelbe, orange und rote Licht – das Abendrot.

Aurora Borealis
Ein Lichtspektakel erster Güte liefert das Polarlicht. Es tritt besonders im Hochwinter in den nördlichen Bereichen Europas auf. Wenn geladene Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre treffen, dann überfluten grüne, violette oder blaue Lichtblitze den Himmel nördlich des 60° Breitengrads. Aber auch südlich des Polarkreises tauchen diese aufregenden Phänomene von Zeit zu Zeit auf. Ob als Corona, Vorhang, Bogen oder Lichtband, wer je Augenzeuge dieses Feuerwerks war, wird sich an die eigene Gänsehaut während des oft stundenlang andauernden Naturphänomens erinnern. Grünes Licht entsteht durch Sauerstoffatome, die in etwa 100 km Höhe durch die Sonnenwinde animiert werden. Das rote Licht entsteht in etwa 200 km Höhe, ebenfalls durch Sauerstoffatome. Animierte Stickstoffatome senden violettes oder blaues Licht mit allen Schattierungen da- zwischen aus. Licht ist, bei aller vermeintlichen, dem Winter zu Unrecht vorgehal- tenen Dunkelheit, das dominierende Element bei allen Outdoorunternehmungen im Spätherbst, Winter und im frühen Frühjahr. Selbst nördlich des Polarkreises ist es m Hochwinter nicht „nur“ dunkel. Vom schwachen, reflektierenden Lichtschein einer monatealten, dichten Schneedecke einmal ganz abgesehen. Viele leidenschaftliche Naturfotografen zieht es Jahr für Jahr gerade zwischen November und Februar in den hohen Norden. Die Gründe liegen auf der Hand: Es ist die Hochzeit der Lichtmalerei! Dämmert’s?